VW Werk in Wolfsburg
Bild: IMAGO / Die Videomanufaktur

[Stand: 17. März 2021, ursprünglich veröffentlicht am 5. März 2021.]

Vor fünfeinhalb Jahren musste Volkswagen öffentlich zugeben, die behördliche Abgasmessung ausgetrickst zu haben: Die Autos funktionieren auf dem Prüfstand wie Musterschüler, auf der Straße aber stoßen sie ein Vielfaches der Grenzwerte aus. Über eine Viertelmillion Dieselfahrer wurden entschädigt, andere kämpfen noch. Auch die VW-Aktionäre mit der Musterklage warten noch auf ein Urteil. Nicht zu vergessen die Auseinandersetzungen von Dieselfahrern gegen andere Hersteller wie BMW und Daimler.

Viele rechtliche Fragen sind geklärt, einige Ansprüche schon verjährt. Umstritten sind nach wie vor die „Thermo-Fenster“, die bei bestimmten Temperaturen die Abgasreinigung des Fahrzeugs ausschalten.

Wir ziehen eine kleine Bilanz: Welche Prozesse sind abgeschlossen und welche laufen weiterhin? Und wer sollte vielleicht noch die Chance nutzen zu klagen?

 

1. Musterklage gegen VW endete mit Vergleich

Um den Skandal juristisch leichter aufzuarbeiten, führte der Gesetzgeber 2018 die Musterfeststellungsklage für Verbraucher ein. Der Verbraucherverband VZBV führte stellvertretend für viele VW-Besitzer den Prozess um den Betrugsmotor EA189. Das Verfahren endete im Februar 2020 mit einem Vergleich. Vorteil: Volkswagen zahlte an rund 245.000 Verbraucher Summen zwischen 1.350 und 6.257 Euro. Insgesamt flossen mehr als 750 Millionen Euro. Der Nachteil: Die rechtlichen Fragen blieben ungeklärt.

 

2. Ein Einzelkläger erreichte das Grundsatzurteil

Wer rechtschutzversichert war, konnte ohne Kostenrisiko selbst klagen. Bis vergangenen Oktober nahmen das über 290.000 Versicherte in Anspruch – die Streitwerte summieren sich auf 7 Milliarden Euro. Ein paar Fälle gelangten zum Bundesgerichtshof (BGH): Der entschied im Mai 2020 im Fall von Kläger Herbert Gilbert: Volkswagen muss Schadensersatz zahlen, darf für gefahrene Kilometer jedoch eine Nutzungsentschädigung abziehen (Az. VI ZR 252/19). Auf dieser Grundlage hat sich VW seitdem mit über 30.000 Klägern geeinigt.

 

3. Ausgang der Myright-Sammelklagen ungewiss

Wer sich der Myright-Sammelklagen angeschlossen hat, muss sich gedulden bis mindestens Ende 2022, da der Rechtsdienstleister auf ein Urteil des BGH warten muss. VW ist nicht zu Vergleichsgesprächen bereit, hält das Geschäftsmodell für unzulässig. Die Situation ist schwierig, da ein möglicher Schadensersatz mit jedem gefahrenen Kilometer weniger wird.

 

Dieselfahrverbotszone
Bild: IMAGO / snapshot

 

4. BGH-Urteil: Teilerfolg für Audi

Es gibt auch Audi-Modelle, in denen der Autobauer aus Ingolstadt den VW-Betrugsmotor EA 189 verbaut hat. Eine Dieselklage gegen Audi selbst, hat bei diesem Motortyp aber mittlerweile deutlich weniger Chancen. Der Kläger muss nachweisen, dass Audi selbst betrügerisch vorgegangen ist, entschied der Bundesgerichtshof (Urteil vom 8. März 2021, Az.VI ZR 505/19). Das sittenwidrige Verhalten von Volkswagenbei der Entwicklung des Motors und der Typengenehmigung kann innerhalb des Konzerns nicht einfach auch dem Hersteller Audi angelastet werden. Jetzt muss sich das Oberlandesgericht Naumburg erneut mit dem Fall befassen und überprüfen, was der Vorstand von Audi von den Betrugsmotoren wusste.

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5. Weitere VW-Prozesse: Thermofenster, andere Motoren

Einige Klagen betreffen das Software-Update beim Motortyp EA 189. Dabei soll eine neue illegale Abschalteinrichtung in Gestalt des „Thermofensters“ zum Einsatz gekommen sein. Der Bundesgerichtshof lässt in einer aktuellen Entscheidung die Frage offen, aber für einen Schadensersatzanspruch fehle es jedenfalls an sittenwidrigem Verhalten und an einer arglistigen Täuschung rund um die Genehmigung des Updates. Die Richter haben die Revision gegen Volkswagen deshalb nicht zugelassen (Beschluss vom 9. März 2021, Az. VI ZR 889/20). Viele Klagen rund um die VW-Thermofenster haben deshalb nur noch geringe Chancen.

Auch der Nachfolgemotor EA 288 steht im Verdacht, eine illegale Abschalttechnik einzusetzen: Rund 10.000 Diesel-Fahrer klagten einzeln, bislang fielen 1.600 Urteile – ganz überwiegend zugunsten von Volkswagen. Vereinzelt verliert der Konzern aber auch wie Anfang Februar vor dem Landgericht Karlsruhe. Das stellte eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung bei einem Skoda Yeti fest (Az. 9 O 93/20), das Urteil ist aber nicht rechtskräftig. Auch das Oberlandesgericht Köln verurteilte Volkswagen am 19. Februar 2021 zu Schadensersatz, weil der Hersteller im Motor EA 288 eine „prüfstandoptimierte Umschaltlogik“ eingebaut hat (Az. 19 U 151/20). Klarheit wird es erst nach einem BGH-Urteil geben.

 

6. Auch gegen Daimler und BMW wird noch geklagt

Längst sind weitere Hersteller in die Kritik geraten. Die juristischen Chancen für Mercedes-Fahrer sind zuletzt eher gestiegen. Der BGH hat im Januar 2021 das „Thermofenster“ von Daimler beurteilt (Az. VI ZR 433/19): Nicht so schlimm wie die illegale Software von VW, aber Schadensersatz ist nicht ausgeschlossen. Nötig ist dafür der Nachweis von weiteren Umständen, die besonders verwerflich sind – zum Beispiel falsche Angaben bei der Typgenehmigung. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung das Verhalten von Daimler bewertet. Spezialisierte Rechtsanwälte findest Du im Ratgeber Mercedes Abgasskandal.

Auch bei BMW geht es um „Thermofenster“. Im März 2020 hat ein Gericht den Konzern erstmals wegen unzulässiger Technik dazu verurteilt, einen BMW X1 zurückzunehmen (Az. 7 O 67/19).

 

7. Welche Motoren außerdem betroffen sind

Gute Chancen hast Du als Betroffener immer dann, wenn Du einen amtlichen Rückruf für Deinen Diesel vom Kraftfahrtbundesamt bekommen hast, wie zum Beispiel für die VW/Audi-Diesel der Typen EA 896 und EA 897. Oder für den Mercedes-Motor OM 651.

Unter diesem Link findest Du eine Liste mit allen zurückgerufenen Modellen.

 

Zum Ratgeber

Britta Beate Schön
Autor

Stand:

Britta Beate Schön ist bei Finanztip für sämtliche Rechtsthemen zuständig. Die promovierte Juristin und Rechtsanwältin war als Leiterin der Rechtsabteilung bei Finanzdienstleistern wie der Telis Finanz AG und der Interhyp tätig. Vorher lehrte und forschte sie in Japan als DAAD-Junior-Professorin für deutsches und Europarecht. Ihr Studium absolvierte sie in Münster, Genf, Regensburg und Leipzig.

6 Kommentare

  1. du hast bei den 3.0 Motoren auch guten chancen ohne amtlichen Rückruf . EIn OLG hat bereist entscheiden , das ein verpflichtender RR zwar ein Indiz ist aber dies nicht zwinegnd erforderlich ist ( logisch , das KBA ist ja nicht ermittler fürs Gericht ) . Gerade die 3.0 Euro 5 haben nene freiwillgen RR , auch hier kann man klagen

  2. Ich selber habe über ein Anwaltsbüro eine Klage gegen Daimler angestrengt. Der Termin ist im Juni d. J. vor dem Landgericht Bielefeld. Ich bin ebenfalls Rechtsschutz versichert und würde gern wissen worin Ihnen die enorm hohen Kosten entstanden sind. Mein Anwalt hat mir immer wieder versichert, dass alle Kosten von der Rechtsschutzversicherung getragen werden.

    Für eine Antwort schon jetzt meinen Dank.

  3. Der Artikel von Ihnen ist sicherlich sehr Informativ für viele betroffenen PKW Dieselfahrer! Eine tolle Zusammenfassung der Fakten.
    Da ich selber ein Wohnmobil des FCA Konzern fahre , wo die Staatsanwaltschaft Frankfurt noch ermittelt, wäre ich auch an einer Einschätzung von Ihnen interessiert wie sich all die Womo Fahrer verhalten sollen wo die Nachweise noch nicht in konkreter Form vorliegen.
    Vielleicht wäre das eine Anregung wo Sie an dem Thema auch noch Tipps geben könnten in einer der nächsten Newsletter vom FINANZTIP.?
    Gruß Mike L.

  4. Tolle Zusammenfassung, Frau Schön! Ich selbst komme mir aktuell wie der größte Verlierer vor. Ich habe den Weg der die Individualklage gewählt, und trotz Rechtsschutzversicherung mehrere Tausend Euro gekostet und verloren. Die zweit Instanz in München wurde nicht zugelassen — nur ein paar Tage später kam das Grundsatzurteil. Recht haben und Recht bekommen ist leider oft nicht das gleiche; und in diesem Fall ganz besonders frustrierend, da es für sehr viele andere, auch trotz der Individualklage, so viel besser ausging. Ich bin sehr enttäuscht. Wer gleichgesinnt ist oder helfen kann … Vielen Dank!

    1. Ja, in Bayern gewinnt scheinbar oft das Kapital. Man könnte dennoch den Anwalt beauftragen, das münchner Urteil z.B. auf Vorgreiflichkeit zu prüfen. Denn die Münchner wussten, dass es anhängige Verfahren am BGH mit sehr ähnlicher Verfahrensfrage gab, die aktuell zur Entscheidungsverkündung anstanden. Mal den Anwalt fragen, welche Rechtsmittel ( -> Beschwerde?) noch auszuschöpfen sind. Und das Ergebnis dann hier posten !!! Grüssla

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