Geschäftsfrau spät im Büro
Bild: IMAGO / MASKOT

Rund 1,7 Milliarden Überstunden: So viel mehr als vereinbart haben die Beschäftigten hierzulande im vergangenen Jahr gearbeitet. Trotz Corona. Nicht einmal jede zweite Überstunde wurde bezahlt.

Im Grundsatz ist niemand zu Überstunden gezwungen, solange der Tarif- oder Arbeitsvertrag das nicht klar regelt. Und das ist selten der Fall. Falls es im Arbeitsvertrag Formulierungen dazu gibt, sind diese häufig ungültig. Damit Du Deine Rechte kennst und Mehrarbeit auch fair bezahlt bekommst, haben wir die wichtigsten Regeln in fünf Punkten zusammengefasst:

 

1. Welche Überstunden ohne Vereinbarung erlaubt sind

Wenn viele Kollegen krank werden, der Server ausfällt oder andere unvorhersehbare Dinge passieren, kann Deine Chefin Überstunden von Dir verlangen. Das geht aber nicht, wenn sie einen neuen Auftrag an Land gezogen oder jemand gekündigt hat.

Dein Boss darf die Arbeitszeit laut Arbeitszeitgesetz auf höchstens zehn Stunden pro Tag verlängern, sofern er innerhalb der folgenden sechs Monate einen Freizeitausgleich schafft. Entscheidend dabei: Im Durchschnitt dürfen die üblichen acht Stunden nicht überschritten werden.

Wichtig: Wenn Du in Teilzeit arbeitest, darf Dein Arbeitgeber grundsätzlich keine Überstunden von Dir verlangen.

 

2. Wenn Überstunden betrieblich geregelt sind

Neben dem Arbeitsvertrag können auch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Überstunden regeln. Im Öffentlichen Dienst zum Beispiel werden Überstunden bezahlt – und es gibt sogar Zuschläge.

Auch wenn es in Deinem Vertrag keine Regelung gibt, kann es sein, dass Deine Chefin trotzdem zahlen muss. Nämlich immer dann, wenn es betriebs- oder branchenüblich ist.

 

Geschäftsmann mit Aktenordnern
Bild: IMAGO / Westend61

 

3. Sonderfall: Höhere Angestellte

Wenn Dein Verdienst über der Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung liegt (2021 sind das 85.200 Euro im Westen, 80.400 Euro im Osten) oder Du leitende Angestellte bist, darfst Du keine Überstunden geltend machen. Leitende Angestellte sind nur solche Leute, die Beschäftigte einstellen oder entlassen können. Sie werden eher nach der Erfüllung von Aufgaben bezahlt, nicht nach der Ableistung von Stunden. Du kannst aber im Arbeitsvertrag eine Vergütung vereinbaren.

 

4. Pauschal abgegoltene Überstunden

In vielen Arbeitsverträgen finden sich Klauseln, nach denen Überstunden bereits mit dem Gehalt abgegolten sind. Meist sind solche Klauseln ungültig. Der Grund: Aus ihnen muss immer hervorgehen, warum und wie viele Überstunden anfallen können, die bereits abgegolten wären. Und diese Regel muss dem „üblichen Maß“ entsprechen: Es können also nicht zum Beispiel 40 Überstunden pro Monat als abgegolten erklärt werden.

 

5. Wie Du Überstunden ansprechen kannst

Du kannst Überstunden nicht in Rechnung stellen, wenn Du sie auf eigene Initiative machst. Dein Chef muss von den Überstunden wissen und sie dulden. Deshalb solltest Du jede Form von Mehrarbeit dokumentieren und regelmäßig von ihm abzeichnen lassen.

Im Mai 2019 entschied der Europäische Gerichtshof, dass es in Betrieben ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ geben müsse, um die Arbeitszeit zu erfassen. Die EU-Mitgliedsstaaten sind nun verpflichtet, entsprechende Gesetze zu entwickeln. Deutschland hat das noch nicht gemacht. Allerdings neigen manche Gerichte dazu, die Arbeitgeber für die Zeiterfassung schon jetzt stärker in die Pflicht zu nehmen.

In einer Checkliste haben wir zusammengefasst, wie Du vorgehen solltest, um Deine Überstunden fair vergütet oder einen Freizeitausgleich zu bekommen. Lass Dich nicht ausnutzen!

Zum Ratgeber

 

Die Finanztip-Serie zum Arbeitsrecht:

1. Arbeiten nach der Pandemie
2. Verkauf Dich nicht zu billig!
3. Überstunden bezahlt bekommen
4. Teilzeit arbeiten – so geht‘s
5. Was im Job geht und was nicht
6. Das solltest Du beachten, wenn Du krank wirst
7. So  wehrst Du Dich bei einer Kündigung

 

 

Matthias Urbach
Autor

Stand:

Matthias Urbach war von 2014 bis 2022 stellvertretender Chefredakteur von Finanztip. Als Diplomphysiker und Absolvent der Henri-Nannen-Schule kombiniert er analytisches und redaktionelles Know-how. Zuvor war er unter anderem als Verlagsdirektor beim SpringerNature-Wissenschaftsverlag und als Leiter von taz.de tätig.

2 Kommentare

  1. Eine Freundin von mir hatte einen Arbeitsvertrag mit pauschal abgegoltene Überstunden unterschrieben. Sie fand es unfair, so viele unbezahlte Überstunden machen zu müssen und generell so viel Arbeitsumfang zu haben. Sie hat sich von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen und den Job gekündigt.

  2. Ich wusste gar nicht, dass ich keine Überstunden machen muss, wenn ich nur in Teilzeit arbeite. Das Thema Arbeitsrecht finde ich sehr interessant. Haben Sie noch weitere Tipps zum Thema Überstunden und Teilzeitarbeit?

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