Plötzlich Erbe - Unklare Lebens- und Vermögenssitutation

  • Hallo Forum,


    ich wurde gestern (26.01.2024) durch das Standesamt einer Gemeinde darüber informiert, dass mein Vater, zu dem ich und mein Bruder seit über 20 Jahren keinen Kontakt mehr hatte, am 05.01.2024 verstorben ist. Um die Beerdigung hat sich die Gemeinde gekümmert, da keine Verwandten ausfindig gemacht werden konnten, und möchte natürlich die Kosten von uns erstattet bekommen. So wie ich das bisher recherchiert habe, kommen wir aus der Nummer auch nicht raus.


    Mein Vater war zum Zeitpunkt des Todes geschieden, weitere Kinder sind nicht vorhanden und ein Testament liegt laut aktueller Sachlage nicht vor.


    Da wir überhaupt nicht einschätzen können, wie die finanzielle Situation aussieht, möchte ich natürlich die Option offen halten, das Erbe ausschlagen zu können.


    Wann beginnt die Frist zu laufen? Mit Kenntnisnahme des Todes oder erst wenn wir vom Nachlassgericht angeschrieben werden?


    Desweitern besteht die Möglichkeit, beim Standesamt die Schlüssel zu seiner Wohnung zu empfangen. Sollte ich diese entgegennehmen, die Wohnung betreten, ggf. Lebensmittel entsorgen bzw. die Wohnung beim Vermieter kündigen, erlischt dann die Möglichkeit das Erbe auszuschlagen, weil ich als Erbnachfolger aktiv gehandelt habe?


    Welche Möglichkeiten bestehen dennn sich einen Überblick über die Vermögenssituation zu verschaffen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Bank auskunftsfreudig sein wird, wenn wir dort aufschlagen.


    Da ich mich auf diesem Fachgebiet überhaupt nicht auskenne, ist die oberste Priorität durch unüberlegtes handeln keinen Bock zu schießen. Deswegen bin ich für jeden Hinweis sehr Dankbar.


    Grüße

  • Hallo Bigimot,


    keine Rechtsberatung: Laienmeinung:

    Wann beginnt die Frist zu laufen? Mit Kenntnisnahme des Todes oder erst wenn wir vom Nachlassgericht angeschrieben werden?

    §1944(2) BGB ist da recht eindeutig. Die Frist beginnt mit Kenntnis.

    Um die Beerdigung hat sich die Gemeinde gekümmert, da keine Verwandten ausfindig gemacht werden konnten, und möchte natürlich die Kosten von uns erstattet bekommen. So wie ich das bisher recherchiert habe, kommen wir aus der Nummer auch nicht raus.

    Nicht ganz. Die Beerdigungskosten trägt der Erbe (§1968 BGB), d.h. sind aus der Erbmasse zu bezahlen. Erst wenn dort nichts zu holen ist, sind die nächsten Angehörigen (Ehepartner, Kinder usw.) zur Tragung der Beerdigungskosten verpflichtet.


    Wenn Sie keinerlei Kenntnisse über die Vermögenssituation Ihres verstorbenen Vaters haben, ist die Situation verzwickt. Und ja, Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht durch konkludentes Handeln das Erbe annehmen. Da gibt es eine umfangreiche Rechtsliteratur und Fallsammlung, was gerade noch geht und was nicht. Falls Sie mit dem Gedanken spielen, sich die Wohnungsschlüssel geben zu lassen, sollten Sie vorher einen Anwalt konsultieren.


    Welche Möglichkeiten bestehen dennn sich einen Überblick über die Vermögenssituation zu verschaffen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Bank auskunftsfreudig sein wird, wenn wir dort aufschlagen.

    Sie sprechen eines der ganz großen Probleme des deutschen Erbrechts an. Genaugenommen haben Sie keine offizielle Möglichkeit, sich über die Vermögenssituation zu informieren, ohne mindestens in die Nähe der Erbannahme zu kommen. Was Sie vielleicht über Bekannte, Freunde oder einen auskunftswilligen Mitarbeiter der örtlichen Sparkasse (wenn Ihr Vater dort Kunde war) erfahren können, ist schon eine Grauzone. Mein persönlicher Rat, falls Sie 20 Jahre lang den Kontakt zu Ihrem Vater nicht vermisst haben, bleiben Sie bei der Linie und schlagen Sie das Erbe aus. Bis auf ggf. die Rechnung der Beerdigung zu begleichen, ist die Sache für Sie dann erledigt.


    Gruß Pumphut

  • Ich würde eine Beratung durch einen auf Erbrecht spezialisierten Anwalt empfehlen.


    Neben einer Ausschlagung des Erbes kommt evtl. auch die Option der Begrenzung der Erbenhaftung auf den Nachlass in Betracht. Denn vielleicht bleibt ja doch etwas für Dich übrig, aber Du möchtest natürlich nicht für eine Überschuldung Deines Vaters aufkommen.


    Das Geld für den Anwalt wäre mE gut angelegt.

  • Hallo,

    Vielleicht ergibt sich hier eine Idee:


    Nachlassverwaltung | Nachlassbayern

    Jein; ein Nachlassverwalter wird vom Gericht nur bestellt, wenn einigermaßen sicher ist, dass dessen Kosten aus dem Nachlass befriedigt werden können. Wenn von vornherein klar ist, da ist nichts zu holen, wird die Bestellung abgelehnt. Bis die Frage entschieden ist, sind ggf. die 6 Wochen vorbei.


    Es gibt zwar noch die Alternative der Erbannahme plus bei Überschuldung Nachlassinsolvenz, aber ohne Anwalt kommt man da nicht weiter.


    Wenn es nur darauf ankommt, einige Erinnerungsstücke ohne Wert (z.B. Fotos) an sich zu nehmen, kann man vielleicht mit dem Schlüsselverwahrer einen deal treffen und in dessen Begleitung die Wohnung einmal kurz aufsuchen.


    Gruß Pumphut

  • Mein persönlicher Rat, falls Sie 20 Jahre lang den Kontakt zu Ihrem Vater nicht vermisst haben, bleiben Sie bei der Linie und schlagen Sie das Erbe aus. Bis auf ggf. die Rechnung der Beerdigung zu begleichen, ist die Sache für Sie dann erledigt.

    Ich schließe mich dem Ratschlag an.


    In Einzelfällen kann es unzumutbar sein, die Bestattungskosten Kindern aufzuerlegen. Das gilt aber nur für harte Fälle, also bei vorangegangenen Straftaten zwischen Elternteil und Kind.


    Wenn ihr zu zweit seit und Euch die Kosten einer ordnungsrechtlichen Bestattung teilt, dürfte sich das finanzielle Drama für Euch aber auch so in Grenzen halten (genaue Zahlen variieren stark nach Region).

  • Das ist ein guter Artikel. Alternativen zur Ausschlagung des Erbes wären eventuell zu bedenken.


    Dem Grund "Sanierungsbedürftige Immobilie - Wenn Du ein Haus erbst, das alt ist und lange nicht renoviert wurde, solltest Du Dir genau überlegen, ob Du die Immobilie haben willst. " zur Erbausschlagung sollte vielleicht noch hinzugefügt werden, was Du Dir genau überlegen solltest: Selbst wenn ein Haus baufällig ist und abgerissen werden muss, wird es sich in den Fällen doch lohnen, in denen der Wert des Grundstücks größer ist als die Abrisskosten (plus Nebenkosten und Aufwand auf der Erbenseite).

  • Vielen Dank für die bisherigen Antworten.


    Die ganze Thematik hat heute eine neue Wende genommen.


    Grundsätzlich gilt, dass alle Handlungen, die nicht als sogenannte konkludente Annahme gewertet werden können, vorgenommen werden dürfen.

    Bedeutet, das Sichten von Unterlagen und das Entsorgen von verderblichen Lebensmitteln keine Annahme des Erbes darstellt. Schlagwörter sind hier: Geschäftsführung ohne Auftrag


    Wichtig ist, dass aus dem Verhalten der potentiellen Erben nicht geschlossen wird, dass diese die Rechtsfolge antreten durch z.B. das Kündigen von Verträgen oder Verkäufen von Nachlassgegenstände.


    Nachdem wir im Standesamt die familiäre Situation anhand von Dokumenten klären konnten, empfingen wir auch den Schlüssel zur Wohnung.


    Unmittelbar danach sichteten wir die Wohnung und die gängigsten Unterlagen. Dabei fanden wir ein Testament, welches zwei Personen, die wir nicht persönlich kennen, als Alleinerben vorsieht.


    Daraufhin verließen wir direkt die Wohnung und wollten das Testament sowie die Schlüssel zur Wohnung wieder beim Standesamt abgeben.


    Zuständigkeitshalber wurde die Annahme durch das Standesamt verweigert.


    Wir sollen die Sachen beim Nachlassgericht abgeben, was ohne Termin nicht möglich ist.


    Ich habe die Mitarbeiterin darauf hingewiesen, dass die Erben auch die Kosten der Beerdigung zu tragen haben. Davon zeigte sich diese unbeeindruckt und hielt daran fest, dass die Gemeinde meinem Bruder und mir die Rechnung zukommen lassen wird.


    Was mache ich nun, wenn die Rechnung in den nächsten Wochen bei uns aufschlägt?

    Der Gemeinde schriftlich antworten, dass die Erben für die Kosten zuständig sind, oder die Rechnung an das Nachlassgericht weiterleiten?


    Was passiert, wenn die beiden Alleinerben das Erbe ausschlagen? Werden wir dann vom Nachlassgericht informiert, dass wir wieder als Erben in betracht kommen und beginnt die sechs Wochenfrist von vorne zu laufen?

  • Was mache ich nun, wenn die Rechnung in den nächsten Wochen bei uns aufschlägt?

    Der Gemeinde schriftlich antworten, dass die Erben für die Kosten zuständig sind, oder die Rechnung an das Nachlassgericht weiterleiten?


    Was passiert, wenn die beiden Alleinerben das Erbe ausschlagen? Werden wir dann vom Nachlassgericht informiert, dass wir wieder als Erben in betracht kommen und beginnt die sechs Wochenfrist von vorne zu laufen?

    Hallo Bigimot ,

    unter anderem dazu kam der Tipp schon weiter vorne, wenn auch nicht von mir:
    Ab zum Anwalt mit "Erbrecht" auf der Visitenkarte, und nun aber im Galopp ;)


    Gruß

    Alexis

    "Unhappy Wife - Unhappy Life!" Roger Murgatroyd, 1977

  • Auch mit Testament sind die Pflichtteile für die Kinder noch immer auf dem Tisch. Insofern hat die Gemeinde zumindest teilweise recht, wenn sie die Rechnung nicht einfach "an die Erben" schicken will und es stellt sich weiterhin die Frage, ob das Erbe von den Kindern angenommen werden soll oder nicht.

  • Hallo Bigimot,


    da Sie das Testament lesen konnten, haben Sie für alle Fälle das Testament hoffentlich auch kopiert. Das Testament müssen Sie wirklich beim Nachlassgericht abliefern, soweit hat die Gemeinde recht. Ich würde auch sagen, die Gemeinde darf Ihnen die Beerdigungsrechnung schicken. Mit dem heutigen Kenntnisstand müssen Sie die aber nicht bezahlen. Wenn die Rechnung kommt, weisen Sie die Gemeinde auf die Erben hin. Prüfen Sie vorsichtshalber noch das Bestattungsgesetz des Bundeslandes Ihres Vaters, ob da eine Vorschusspflicht o.ä. drin steht.


    Falls die Erben das Erbe annehmen, sind Sie in einer komfortablen Situation. Dann können Sie unbeschwert den Pflichtteil fordern. Der kann nicht kleiner Null sein.

    Was mache ich nun, wenn die Rechnung in den nächsten Wochen bei uns aufschlägt?

    Der Gemeinde schriftlich antworten, dass die Erben für die Kosten zuständig sind, oder die Rechnung an das Nachlassgericht weiterleiten?

    Falls die Erben ausschlagen, werden Sie sicherlich vom Nachlassgericht informiert. Ob dann allerdings die 6- Wochen- Frist neu läuft, ist der heikelste Punkt. Da würde ich zur Rechtssicherheit doch empfehlen, einmal einen Anwalt zu konsultieren. Es gibt inzwischen für überschaubare Summen Online- Portale dafür. Auskünfte hier in einem Laienforum sind letztendlich nicht belastbar.

    Auch mit Testament sind die Pflichtteile für die Kinder noch immer auf dem Tisch. Insofern hat die Gemeinde zumindest teilweise recht, wenn sie die Rechnung nicht einfach "an die Erben" schicken will und es stellt sich weiterhin die Frage, ob das Erbe von den Kindern angenommen werden soll oder nicht.

    Nein, stellt sich nicht. Erbe und Pflichtteil sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Entweder man ist Erbe oder nicht. Wenn nicht, dann in aller Konsequenz nicht. Unabhängig davon gibt es für nahe Verwandte (hier Kinder) den Pflichtteil. Den muss man von den Erben einfordern, wenn man ihn haben will; man muss aber nicht. Aus der Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten ergeben sich keinerlei kleine Erbenpflichten o.ä.


    Gruß Pumphut