Was bestimmt die Entwicklung des €STR?

  • Ich starte hier eine Diskussion über die Rahmenbedingungen und Einflussgrößen für die Entwicklung des €STR.

    Der €STR wird beim "Geldmarkt" herangezogen. Einige gängige Geldmarkt ETF nehmen den €STR als Referenz - z.B. der DBX0AN.

    Es geht mir primär um die Erfassung von prinzipiellen Einflussgrößen. Sekundär könne wir vielleicht auch anhand von Daten spekulieren, wohin sich der €STR entwickeln wird.

    Eine dies betreffende Frage ist z.B., ob man qualitativ genauso dauerhaft in einen (globalen?) Geldmarkt ETF investiert sein kann, wie in einem globalen Aktien Index, um z.B. einen Staatsanleihenanteil im Portfolio abzudecken - anstatt Staatsanleihen direkt zu erwerben. Oder ob man z.B. bei Staatsanleihen eher lokal handelt (beispielsweise um Fremdwährungsririken auszuschliessen) und dadurch die Rahmenbedingungen ganz andere sind und sich das Prinzip daher nicht übertragen läßt.


    Anlass ist der Diskussionsthread 60/40 Portfolio mit mehreren ETFs vs. Vanguard Lifestrategy 60. Darin wurden schon einige interessante Punkte genannt, die ich hier mit rein nehmen werde.

    Der andere Diskussionsthread selbst hat einen anderen Schwerpunkt. Deswegen ziehe ich das Thema mal besser heraus in diesen separaten Diskussionsthread.

  • Einschub:

    Eines der In dem anderen Diskussionsthread angesprochene Themen war "Inflation und Staatsverschuldung "

    Dazu habe ich hier einen Beitrag vom Ifo Institut aus dem Jahr 2010 gefunden:


    Inflation und Staatsverschuldung
    Die seit der Finanzkrise massiv steigende Staatsverschuldung hat die Inflationssorgen vieler Anleger erhöht. Karsten Junius und Kristian Tödtman, DekaBank,…
    www.ifo.de

  • Er bestimmt sich anhand der Zinssätze mit welchen sich Institute über Nacht Geld leihen. Was soll man da groß diskutieren?


    Statement of methodology

    The euro short-term rate (€STR) is exclusively based on borrowing transactions in

    euro conducted with financial counterparties that banks report in accordance with

    Regulation (EU) No 1333/2014 (MMSR Regulation)3

    , the concepts and definitions of

    which underlie the €STR conceptual framework. Out of the potential MMSR

    instrument categories, the euro short-term rate (€STR) is calculated using overnight

    unsecured fixed rate deposit transactions over € 1 million. Unsecured deposits are

    standardised and are the most frequent means of conducting arm’s length

    transactions on the basis of a competitive procedure, thereby limiting idiosyncratic

    factors potentially influencing the volatility of the rate.

    The euro short-term rate (€STR) is calculated for each TARGET2 day as a volume-

    weighted trimmed mean rounded to the third decimal.

    The volume-weighted trimmed mean is calculated by:

    1. ordering transactions from the lowest rate to the highest rate;

    2. aggregating the transactions occurring at each rate level;

    3. removing the top and bottom 25% in volume terms; and

    4. calculating the mean of the remaining 50% of the volume-weighted distribution

    of rates.

    A pro rata calculation is applied to volumes that span the thresholds for trimming to

    ensure that exactly 50% of the total eligible volume is used in the calculation of the

    volume-weighted mean.



  • Hallo,


    der €STR berechnet sich aus den an die EZB gemeldeten Transaktionen für Einlagegeschäfte im Euroraum.

    Es gibt 50 meldepflichtige Banken, welche alle täglichen Transaktionen mit finanziellen Gegenparteien an die EZB übertragen. Finanzielle Gegenparteien sind dabei aber nicht nur Banken, sondern z.B. auch Versicherungen, Investmentfonds.


    Aus den gemeldeten Geschäften entsteht dann, nach Korrektur (Trimming) der sehr hohen und niedrigen Zinssätze, der €STR. DIeser spiegelt also nicht den einen Zinssatz wieder sondern einen gewichteten Durchschnittszinssatz für Einlagen.


    Für die Beantwortung der Frage, was hat Einfluss auf den €STR, muss man sicher daher anschauen, auf welcher Basis Banken ihre Einlagenzinsen berechnen.


    Eine Rolle spielt hier wahrscheinlich die Liquiditätsmenge. Haben es die Banken sehr leicht an Geld zu kommen, dann wird der Zinssatz sinken und sich wahrscheinlich in der Nähe der Einlagenfazilität bewegen. Ist weniger Liquidität im Markt werden Banken höhere Zinsen zahlen müssen, um die entsprechenden Mittel anzuziehen.


    Auch relevant ist sicher das Vertrauen der Geschäftspartner untereinander. Dies war ja in der Finanzkrise zu sehen. Wenn ich dem Partner nicht vertraue, dann leihe ich ihm kein Geld sondern gebe es lieber der EZB.


    Geldmarkt-ETFs, wie der von Dir angesprochene, welche auf Basis des €STR laufen, zeigen also das Zinssniveau für Übernachteinlagen im Euroraum an. Sie können daher als Tagesgeldersatz dienen.

  • Aus dem oben gesagten schliesse ich, dass beispielsweise ein DBX0AN kein Ersatz für Staatsanleihen in einem Portfolio ist.


    Auch relevant ist sicher das Vertrauen der Geschäftspartner untereinander. Dies war ja in der Finanzkrise zu sehen. Wenn ich dem Partner nicht vertraue, dann leihe ich ihm kein Geld sondern gebe es lieber der EZB.

    Genau darüber haben wir in dem anderen Thread diskutiert.


    Eine mögliche Konsequenz war, dass Banken - bei Vertrauensverlust untereinander - ihr Geld vielleicht lieber bei der EZB (oder in Staatsanleihen?) parken, anstatt es anderen Banken zu leihen. Die Konsequenz davon wäre, dass die EZB Zinszahlungen leisten muss (sofern der Zinssatz positiv ist). Aber vermutlich kann/will die EZB diesen Zustand nicht dauerhaft aufrechterhalten(?)

    Oder Können (andere) Banken sich in so einer Phase genauso gut und einfach Geld von der EZB zu deren Bedingungen holen? So dass sich das für die EZB ggf. ausgleicht, weil sie dafür Zinszahlungen erhält?

  • Kater.Ka hat hier

    geschrieben:

    Zitat

    Es gibt insgesamt drei Zinssätze der EZB. Der €STR bildet einen Zinssatz für unbesicherte Kredite ab. Dieser liegt knapp unter dem Einlagenzinssatz der EZB, was vermutlich das höhere Risiko Bank vs. EZB reflektiert. Die beiden Kreditsätze der EZB liegen höher und erfordern die Stellung von Sicherheiten seitens der Bank. Insofern ist es attraktiver, das Geld auf dem Markt zu holen statt bei der EZB.

    Das scheint zu besagen, dass sich die Banken von der EZB Geld holen können.

    Wenn der €STR nun wegen eines Misstrauens der Banken untereinander steigt, dann nimmt der EZB Zinssatz dessen Funktion ein?


    Er hat auch geschrieben:

    Zitat

    Hierzu den Punkt 6 der entsprechenden EZB-Leitlinie lesen und verstehen https://www.ecb.europa.eu/stat…ology_and_policies.en.pdf Spoiler: wenn die Banken nichts machen wird der €STR auf die EZB-Zinssätze gesetzt.

    Demzufolge scheint es sogar umgekehrt zu sein: Wenn der €STR über den EZB Zinssatz steigt, dann wird er auf den EZB Zinssatz gedeckelt.

    Das wäre ein Argument dafür, dass man mit einem €STR ETF doch europäische Staatsanleihen als Geldanlage ersetzen kann.


    Allerdings frage ich mich dann,

    1. welchen "freien Markt" der €STR widergibt, wenn er durch den EZB Zinssatz gedeckelt wird
    2. Inwiefern den Banken damit Handlungsungsdruck abhanden kommt
    3. Inwieweit damit Verantwortung und Handlungsdruck der EZB auferlegt wird, der im Sinne der Banken zu laufen hat, anstatt anderen Marktteilnehmern gerecht zu werden.
  • Hallo,


    der €STR ist kein EZB Zinssatz. Er zeigt allerdings die tatsächlich am Markt erwartbaren Einlagenzinsen an.

    Die Einlagenfazilität der EZB gibt den Marktteilnehmern die Chance ihr überschüssige Liquidität für diesen Zinssatz bei der EZB zu parken, sollten sie kein lohnenderes Investment finden.


    Der Hauptrefinanzierungszinssatz (Leitzins) gibt den Zinssatz an zudem sich Banken bei der EZB Geld leihen können. (ab 1 Woche Laufzeit)


    Der Spitzenrefinanzierungssatz gibt den Zinssatz an, den man als Bank für einen Overnightkredit zahlt.


    Wenn die Banken sich untereinander nicht mehr trauen, also Bank A möchte ihre überschüssige Liquidität nicht bei Bank B anlegen, dann wird Bank A den Einlagenzins der EZB nutzen. Bank B wiederum wird hohe Zinsen anbieten, damit ein Dritter z.B. eine Versicherung, ihre Mittel bei Bank B anlegt. Sie wird im Zweifel Angebote bis zum Spitzenrefinanzierungszinssatz in den Markt geben, um die nötige Liquidität zu erhalten.


    Fehlt am Ende des Tages immer noch Liquidität bei Bank B wird sie eventuell einen Overnightkredit bei der EZB in Anspruch nehmen.


    In einem dadurch entstehenden Szenario (zu wenige Transaktionen bzw. zu wenige Banken mit Geldmarkttransaktionen) würde der in Deinem Dokument beschriebene Contingency -Plan greifen.


    Der €STR wird sich in der Regel zwischen Einlagenfazilität und Spitzenrefinanzierungssatz bewegen.

  • Also können die Banken untereinander unbesichert zu günstigeren Konditionen Kredite vergeben. Falls aber die Bedingungen hierfür zu unattraktiv werden, dann können sie ersatzweise auch auf die EZB und deren Konditionen zugreifen.

    Und dass der €STR nach oben hin durch den Zinssatz der EZB gedeckelt wird, ist nur eine Formalie, die sich konsequenterweise dadurch sowieso ergibt.

    Richtig?

  • Bitte beachten: ich hatte darauf hingewiesen, dass die Deckelung von mir falsch dargestellt wurde. Diese greift nach dem im anderen Thread verlinkten Dokument nur bei einer Änderung der EZB-Zinssätze, sonst nicht.

  • Also können die Banken untereinander unbesichert zu günstigeren Konditionen Kredite vergeben. Falls aber die Bedingungen hierfür zu unattraktiv werden, dann können sie ersatzweise auch auf die EZB und deren Konditionen zugreifen.

    Und dass der €STR nach oben hin durch den Zinssatz der EZB gedeckelt wird, ist nur eine Formalie, die sich konsequenterweise dadurch sowieso ergibt.

    Richtig?

    Der €STR beinhaltet auch finanzielle Gegenparteien, welche keine Banken sind. Dadurch fließen auch diese Konditionen in den €STR ein.


    Der €STR zeigt Dir auch nicht den individuellen Zinssatz an zudem sich die Banken untereinander Geld leihen. Dies sind ja immer noch Geschäfte zwischen zwei Parteien. Früher war das ungefähr am EONIA ablesbar. Das waren reine Geschäfte zwischen den Banken. Dieser Zins liegt 8,5 Basispunkte über dem €STR. Damit aktuell bei 3,005% also knapp über dem Einlagezinssatz der EZB.


    Die Deckelung nach oben ergibt sich meiner Meinung nach auch aus der Politik der EZB, welche aktuell immer noch unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellt. Daher wird eine Bank fehlende Liquidität immer zum Spitzenrefinanzierungszinssatz bekommen und daher keinen Zins oberhalb dieses Satzes akzeptieren.

  • Bitte beachten: ich hatte darauf hingewiesen, dass die Deckelung von mir falsch dargestellt wurde. Diese greift nach dem im anderen Thread verlinkten Dokument nur bei einer Änderung der EZB-Zinssätze, sonst nicht.

    Der Beitrag in dem anderen Thread mit genannten verlinkten Dokument war:



    Das Dokument ist:


    https://www.ecb.europa.eu/stats/euro-short-term-rates/interest_rate_benchmarks/WG_euro_risk-free_rates/shared/pdf/ecb.ESTER_methodology_and_policies.en.pdf


    Der relevante Auszug steht auf den Seiten 4 und 5:


  • Eine Frage hierzu:

    Falls sich der €STR, zwischen zwei Sitzungen des EZB-Rats, einmal aus dem Zins-Korridor der EZB nach oben heraus bewegen sollte, profitieren dann vorübergehen die Halter von €STR basierten Geldmarkt-ETFs davon?

    Oder ist z.B. im Falle des DBX0AN, der zugrunde liegende konkrete abgeleitete "Solactive EURSTR +8.5 Daily Total Return Index" so gestaltet, dass er in diesem Falle nicht unmittelbar so wie der €STR darauf reagieren würde?

  • Falls sich der €STR, zwischen zwei Sitzungen des EZB-Rats, einmal aus dem Zins-Korridor der EZB nach oben heraus bewegen sollte, profitieren dann vorübergehen die Halter von €STR basierten Geldmarkt-ETFs davon?

    MMn ja, wobei wir uns hier wohl einig sind, dass das eher nicht passieren wird.

    Oder ist z.B. im Falle des DBX0AN, der zugrunde liegende konkrete abgeleitete "Solactive EURSTR +8.5 Daily Total Return Index" so gestaltet, dass er in diesem Falle nicht unmittelbar so wie der €STR darauf reagieren würde?

    Tja, da müsste man halt das Dokument lesen. https://solactive.com/download…ne_Solactive_MM_Index.pdf


    Spoiler:

    erste Antwort nein, d.h. im Index wird das abgebildet was veröffentlicht wird. s.Formel auf Seite 7 i.V.m. Tabelle 3 auf Seite 15

    zweite Antwort man weiß es nicht, denn es gibt die Möglichkeit in Punkt 4.4 Seite 7 auf einen Wert der Vortage zu gehen oder sogar einen anderen Zinssatz abzubilden, wenn der €STR nicht mehr für das Interbankengeschäft repräsentativ ist.

  • Sind bald wieder steigende Renditen deutscher und europäische Staatsanleihen zu erwarten?



    https://www.focus.de/finanzen/boerse/ausblick-2025-worauf-anleger-bei-den-zinsen-im-neuen-jahr-achten-sollten_id_260597772.html


    Wie verträgt sich das mit dem "Wunsch" der EZB (einen solchen unterstelle ich mal), mit geringen Zinsen ("billigem Geld") die Wirtschaft wieder/weiter in Schwung zu bringen?


    Und wie können/wollen einerseits die USA so ein hohes Zinsniveau (dauerhaft) finanzieren?

    Ist das eine Strategie, um Anlagevermögen in den US Dollar zu leiten?

    Und wie werden andererseits europäische Länder mit dem Zinsspread umgehen (müssen)?

  • Worum geht es Dir? Aktuell ist es so, dass zum Einen die Kapitalmärkte, zum Anderen auch die Fed, die Vorhaben der Regierung Trump kritisch im Sinne Inflation sehen während die Beschäftigung weiter stabil / gut ist (Doppelmandat der Fed). Das sollte kurzfristig dazu führen, dass die Zinsen in USA steigen. Wie richtig ausgeführt ist das ein Problem für die Zinszahlung des Staates, viel früher aber für die Verschuldung der Bürger und Unternehmen.


    In Europa herrscht schon länger Krise. Insofern wird die EZB weiter Zinsen senken. Allerdings gibt es dabei eine Grenze, da der Euro dadurch im Vergleich zum Dollar fällt und dies z.B. über Rohstoffimporte inflationär wirkt. Auch hier geht der Kapitalmarkt nicht in dem Maße mit wie die EZB am kurzen Ende senkt.


    Welchen Reim mache ich mir darauf? Unter normalen Umständen glaube ich nicht an die nachhaltige Zinssenkung. Wenn die Krisen sich weiter verschärfen wird heute keine Zentralbank mehr die Wirtschaft von der Klippe stürzen, will sagen wird eher für mehr Inflation über niedrige Zinsen sorgen. Gleiches gilt für die Staatsfinanzierung, auch hier wird man Wege finden, vielleicht mit der 1-Billion-Dollar-Münze ;) Für die Geldwertstabilität bedeutet das nichts Gutes,

  • Deswegen habe ich letztens in einem anderen Chat hier im Forum gefragt, ob das jetzt in Schüben kommt.



    Man könnte auch sagen "häppchenweise".

  • Es wechseln sich Aufschwung und Rezession immer ab, wie im berühmten Schweinezyklus. In der wirtschaftswissentschaftlichen Theorie wird dies eher positiv gesehen, da es letzendlich zu einem Optimum führt. Die Frage ist halt, ob wir als Gesellschaft noch bereit sind, diese Prozesse zuzulassen.