Liebe Finanztip-Leserin, lieber Finanztip-Leser,
vielleicht bist Du wie ich längst völlig in der ETF-Welt und bestreitest mit weltweiten Aktien-ETFs Deine Altersvorsorge. Vielleicht hast Du aber auch noch einen alten Papiervertrag im Ordner, der Dir mal verkauft worden ist. Dann bist Du nicht allein! Leider.
Eigentlich unglaublich, wie viele oft teure private Rentenversicherungen in Deutschland nicht nur existieren, sondern jedes Jahr auch noch neu abgeschlossen werden: allein 2024 über zwei Millionen neue Verträge, fast genauso viele wie vor zehn Jahren! Da ist mir die Kinnlade heruntergefallen. Die Zahl stammt aus der Statistik des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft.
Bevor Du weiterliest …
Denkst Du auch, dass das ein Zeichen ist, dass viel zu viele Menschen viel zu wenig über ihre Altersvorsorge wissen und ihre Finanzberaterin oder ihren Finanzberater nicht genug hinterfragen? Dann leite diesen Text doch Deinen Bekannten weiter und empfiehl ihnen den Finanztip Newsletter, damit sie keine wichtigen Infos zu ihren Finanzen mehr verpassen. Vielen Dank!
Fast 400.000 Lebensversicherungen kommen dazu
Wenn wir fair sind, rechnen wir aus den zwei Millionen die neuen Riester- und Rürupverträge sowie betriebliche Altersvorsorgen raus, die in manchen Situationen ja eventuell Sinn ergeben.
Dafür zählen wir dann die fast 400.000 neuen Lebensversicherungen jedes Jahr dazu und landen wieder bei rund zwei Millionen Neuabschlüssen, deren insgesamt gewaltige Kosten der Bevölkerung in Deutschland für die Altersvorsorge fehlen.
Machen wir uns diese Kosten an einem Beispiel klar:
Ein Bekannter von Dir will seine Altersvorsorge ernstnehmen und steckt 300 € im Monat in eine teure private Rentenversicherung, die ihm sein Berater unter einem klangvollen Namen nahegelegt hat.
Am ehesten wird noch vor den Abschlusskosten gewarnt. Die dürfen max. 2,5 % aller Beiträge über die Vertragslaufzeit betragen. Also bei z. B. 35 Jahren Laufzeit 2,5 % x 300 € Monatsbeitrag x 12 x 35 Jahre = 3.150 €.
Ein Sechstel der Rate für Abschlusskosten
Diese 3.150 € zahlt Dein Bekannter typischerweise über die ersten fünf Jahre des Vertrags ab. Fünf Jahre lang werden dann von seinen 300 € Beitrag immer 52,50 € abgezogen, über ein Sechstel seiner Rate.
Übrigens spielt es keine Rolle, ob Dein Bekannter eine Versicherung neu abschließt oder den Beitrag einer bestehenden Versicherung um z. B. 100 € erhöht – es fallen immer Abschlusskosten an.
Das Problem mit dem Kleingedruckten
3.150 € sind schon ein ordentlicher Batzen – aber längst nicht das Ende der Fahnenstange. Würde Dein Bekannter das Kleingedruckte des Vertrags studieren, würde er auch noch auf eine andere Zahl stoßen, die es richtig in sich hat: die sogenannte Renditeminderung bei seinem Vertrag. Um 1,9 % pro Jahr wird die Rendite in einer solchen Rentenversicherung im Schnitt durch die Kosten vermindert. Diese Zahl hat die Finanzaufsicht BaFin 2022 ermittelt.
Das bedeutet: Alle Kosten des Vertrags, von denen die Abschlusskosten nur ein Teil sind, mindern die Rendite über die Laufzeit um 1,9 % pro Jahr.
137.500 € Kosten bei 300 € Rate
Nehmen wir an, die Rentenversicherung Deines Bekannten investiert in Aktienfonds, und der Aktienmarkt liefert über die 35 Jahre Laufzeit eigentlich eine Rendite von 6 % pro Jahr. Ohne Kosten würden aus den 300 € im Monat über diese Zeit dann 414.000 €.
Durch die Kosten bleiben bei Deinem Bekannten aber nur 6 % - 1,9 % = 4,1 % hängen. Das führt dazu, dass in der Versicherung zum Ende statt 414.000 € nur 276.500 € drin sind. Von wegen 3.150 € Abschlusskosten – die Police hat ihn 137.500 € an entgangener Rendite gekostet!
Zum Vergleich: In einem entsprechenden ETF-Sparplan würde er bei 0,3% ETF-Kosten und damit einer effektiven Rendite von 5,7% pro Jahr knapp 388.000 € ansammeln.
Ein kleines Drama – und ein großes
Das kleine Drama beim Vermögensaufbau in Deutschland ist, dass der Versicherungsvertrieb beim Absatz dieser Produkte offensichtlich so ungebremst erfolgreich ist. Das große Drama ist aber, dass Millionen von Menschen diese eklatanten Auswirkungen der Kosten nicht ansatzweise klar sind.
Deswegen nochmal mein Appell: Wenn Dir mittlerweile eine Bekannte oder ein Bekannter in den Sinn gekommen ist, dann leite bitte diesen Text weiter!
Steuervorteil als Heilsbringer?
Der Versicherungsvertrieb würde Sturm laufen gegen die Berechnung, die ich Dir gerade präsentiert habe: “Da werden Äpfel mit Birnen verglichen! Die Zahlen sind alle ohne Steuern gerechnet, eine Rentenversicherung hat erhebliche Steuervorteile gegenüber einem ETF-Sparplan!”
Das Argument zieht nicht. Wir haben bei Finanztip bereits vor vielen Jahren eine Rentenversicherung mit sehr niedrigen Kosten (eine sogenannte ETF-Nettopolice) gegen einen ETF-Sparplan gerechnet und dabei alle Steuern einbezogen.
Das Ergebnis: Trotz der niedrigen Kosten lag die ETF-Nettopolice leicht hinter dem ETF-Sparplan. Ergo würde eine Rentenversicherung mit nur durchschnittlichen Kosten (wie oben) weit abgeschlagen dahinter landen. Und viele Rentenversicherungen haben noch höhere Kosten als in unserem Beispiel.
Geht Dir mit ETFs im Alter das Geld aus?
Und wie ist das mit dem Argument der Versicherungswirtschaft, dass Dir mit einem Aktien-ETF im Alter das Geld ausgehen kann? Naja, mit einer konservativen, aber noch immer ordentlichen Entnahme von 3 % pro Jahr kannst Du Dich auch davor sehr gut schützen.
Beispiele dazu liest Du in unserem ePaper zur Altersvorsorge mit ETFs. Dort haben wir so gerechnet, dass Du mit dem ETF sehr alt werden kannst – obwohl Deine Kosten im Alter weiter steigen werden.
Du kannst alles selbst machen – ganz einfach
Aber ist es nicht viel komplizierter, alles ohne Finanzberater und Rentenversicherung selbst zu machen? Nein. Alles, was Du brauchst, ist ein gutes Wertpapierdepot und ein einziger Welt-ETF.
In unserem Depotvergleich empfehlen wir Dir zehn Depotanbieter. Unsere Preisleistungs-Sieger: Smartbroker+ und Traders Place. Den passenden ETF zum Depot suchst Du dann ganz bequem mit unserem ETF-Finder raus.
Mein Fazit
Ich muss Dir gestehen: Die zwei Millionen neuen Rentenversicherungen jedes Jahr haben mich schon ziemlich ernüchtert. Und gleichzeitig aber auch angespornt: Wir sind bei Finanztip noch lange, lange nicht am Ende unserer Aufklärungsarbeit angelangt.
Wir können noch so viel bewirken, damit die Menschen in Deutschland viel mehr aus ihrem Geld machen. Und wenn Du durch diesen Text in Deinem Umfeld ein wenig zu beiträgst, wird Dir vielleicht jemand in vielen Jahren “sechsstellig” dankbar sein. Und ich danke Dir fürs Teilen dieser so lebensverändernden Informationen!
Dein Saidi von Finanztip